Während sich die genomische Selektion in den Anfangsjahren auf die Nutzung der genomischen Informationen männlicher Tiere beschränkte, typisieren heute immer mehr Betriebe ihre weiblichen Tiere. Schon jetzt (August 2019) liegen beim Fleckvieh Typisierungsergebnisse von mehr als 70.000 weiblichen Tieren vor und diese Zahl wird sich durch die Projekte FoKUHs in Österreich, FLEQS in Bayern und FLECKfficient in Baden-Württemberg rasant erhöhen. Für die weiblichen Tiere werden zurzeit zwar genomische Zuchtwerte geschätzt, die Leistungsinformationen der Kühe konnten aber bisher nicht für die Kalibrierung (Lernstichprobe) der ZWS verwendet werden.
Erweiterung der Lernstichprobe um Kühe
Um die Informationen der weiblichen Tiere nutzen zu können, wird schon seit geraumer Zeit an einem neuen, international anerkannten Verfahren gearbeitet, das es ermöglicht, die Typisierungsergebnisse der Kühe in die Lernstichprobe zu integrieren. Dieses neue „Single-Step-Verfahren“ ist jetzt für die Exterieur-ZWS beim Fleckvieh praxisreif. Nachdem das Verfahren auf Herz und Nieren geprüft worden ist, wurde im „Beratenden Ausschuss Zuchtwertschätzung beim Rind“ beschlossen, erstmals im August Single-Step-Zuchtwerte für das Exterieur zu veröffentlichen.
Wie der Name Single-Step schon sagt, werden jetzt genomische Zuchtwerte direkt, d.h. in einem Schritt, für alle männlichen und weiblichen Tiere berechnet. Dadurch brauchen nicht mehr wie bisher in einem ersten Schritt konventionelle Zuchtwerte geschätzt und diese anschließend in einem komplexen zweiten Schritt mit den Typisierungsergebnissen (Genotypen) kombiniert werden. In der Single-Step-ZWS werden für alle Tiere genomisch optimierte Zuchtwerte berechnet und es gibt keine konventionellen und genomisch direkten Zuchtwerte mehr. Durch die Einbeziehung einzelner Exterieurmerkmale in die Nutzungsdauer und den Eutergesundheitswert gilt das auch für ND, EGW, FIT und GZW!
Mehr Sicherheit durch das neue Verfahren
Da die Informationen von genotypisierten Kühen, vor allem derjenigen mit einer Exterieur-Beschreibung, direkt ins Schätzsystem einfließen, werden alle vorhandenen Informationen optimal genutzt, und die Schätzung genomischer Zuchtwerte wird zuverlässiger. Aber nicht nur die genotypisierten Kühe werden Teil der Lernstichprobe, sondern auch Tiere mit eigener Leistung ohne Typisierungsergebnisse tragen ihre Informationen zum Schätzsystem bei. Hierdurch werden auch Verzerrungen der Zuchtwerte durch das Problem der sogenannten „genomischen Vorselektion“ verhindert und das Zuchtwertschätzsystem langfristig stabilisiert.
Um die Qualität des neuen Single-Step-Verfahrens beurteilen zu können, wurde eine Validierungsuntersuchung durchgeführt. Diese Untersuchung vergleicht die aktuellen Zuchtwerte mit denen aus einer ZWS mit dem Datenstand von vor 4 Jahren. Als Validierungstiere werden Stiere definiert, die vor 4 Jahren keine Töchterinformation besaßen und jetzt mindestens 20 Töchter mit Exterieur-Bewertung haben. Vergleicht man die aktuellen mit den historischen Zuchtwerten, dann zeigt das Single-Step-Verfahren für alle Exterieurmerkmale eine bessere Übereinstimmung.
Die Vorteile durch die zusätzlichen Informationen aus den Kuhgenotypen zeigen sich auch in der deutlich besseren Sicherheit der Euterzuchtwerte. Diese steigt bei den GZL-Stieren (geprüfte Stiere und genomische Jungvererber in der Besamung) von 83,2% auf 85,7% und bei den Kandidaten von 65,3% auf 71,2%.
Geringe Auswirkungen bei geprüften Stieren – etwas größere bei Kandidaten
Wie Tabelle 1 anhand der Korrelationen zeigt, sind die Veränderungen bei den meisten Stieren (geprüfte Stiere und genomische Jungvererber der GZL-Liste) meist gering und es gibt bei den bekannten Vererbern kaum größere Verschiebungen. Ein anderes Bild zeigt sich bei den Kandidaten (Korrelationen 0,92 – 0,95), bei denen es einige Änderungen gibt.
Tabelle 1: Vergleich der Single- und Two-Step-Zuchtwerte (Korrelationen, Differenzen)
Bei den Besamungsstieren liegen 99% der Unterschiede zwischen den neuen und alten Zuchtwerten in einem relativ engen Bereich von ca. +- 5 Punkten. Bei den Kandidaten sind die maximalen Differenzen ähnlich, allerdings ergeben sich in wenigen Einzelfällen auch größere Unterschiede. Diese können allerdings für einen Kandidaten im Grenzbereich entscheidend sein.Die Unterschiede durch die Single-Step-ZWS für jeweils vier bekannte nachkommengeprüfte Stiere und genomische Jungvererber zeigt Tabelle 2. Dabei handelt es sich um die Differenz zwischen den offiziellen Single-Step-Zuchtwerten und den mit der alten Methodik (Two-Step) geschätzten Zuchtwerten.
Tabelle 2: Veränderungen in den Zuchtwerten durch die Single-Step-ZWS (im Vergleich zu einem Testlauf mit alter Methodik)
Kaum Auswirkungen auf den Gesamtzuchtwert
Da einzelne Exterieurmerkmale als Hilfsmerkmale auch bei der Berechnung von Nutzungs-dauer und Eutergesundheitswert (EGW) einbezogen werden, können sich Änderungen in dem daraus gebildeten Fitnesswert (FIT) und Gesamtzuchtwert (GZW) ergeben. Wie die Auswertungen gezeigt haben, sind diese aber sehr gering und können vernachlässigt werden.
Single-Step in Zukunft bei allen Zuchtwertschätzungen
Die Einführung der Single-Step-ZWS beim Exterieur ist aber nur ein erster Schritt. Mittelfristig werden alle Zuchtwertschätzungen auf das neue Verfahren umgestellt werden. Dies ermöglicht dann die optimale Nutzung von Kuhgenotypen bei allen Merkmalen. Bei den weiteren Merkmalen ist durch die verbesserte Methodik mit etwas stärkeren Zuchtwertänderungen zu rechnen als beim Exterieur. Hierdurch werden nicht nur bessere Validierungsergebnisse erzielt, das neue Verfahren eignet sich dann auch für Umstellungen auf verkürzte Schätzintervalle.
Autoren: Dr. Eduardo Pimentel und Dr. Dieter Krogmeier, LfL Grub, für das Zuchtwertschätzteam Deutschland-Österreich-Tschechien