Die Umstellung auf das Single-Step-Verfahren (siehe Beitrag von Dr. Schwarzenbacher) ist ein Meilenstein in der Zuchtwertschätzung (ZWS), aber nicht die einzige wichtige Änderung bei der ZWS im April. Ein völlig neues ZWS-Verfahren bei der Nutzungsdauer, die Umstellung auf eine Kuhbasis und weitere Anpassungen wirken sich merklich auf die Zuchtwerte aus.
Folgende Änderungen gibt es zusätzlich zu Single-Step:
- Methodische Erweiterung bei der Milch-ZWS, die zur Folge hat, dass das Merkmal Persistenz neu entwickelt werden muss und daher nicht vor Dezember auf Single-Step umgestellt werden kann und damit vorerst mit der Two-Step-Methode geschätzt wird. Ähnliches gilt für die Leistungssteigerung, die voraussichtlich im August auf Single-Step umgestellt werden wird.
- Bei der Milch-Sicherheit wird ab sofort die Sicherheit des Milchwerts (MW) veröffentlicht und nicht wie bisher die Sicherheit für die Fettmenge. Das hat zusätzlich zur Auswirkung von Single-Step generell höhere Sicherheiten bei der Milch zur Folge.
- Bei der Fleisch-ZWS mussten die Merkmale von zehn auf fünf reduziert werden. Es geht dabei um überwiegend ältere Stationsdaten, die weggelassen wurden und ohnehin wenig Information für die aktuelle Population liefern. Die wichtigen Schlachtdaten der Jungstiere und die Kördaten aus Deutschland bilden jetzt die Grundlage der Zuchtwertschätzung. Außerdem wird Fleckvieh jetzt separat und nicht mehr gemeinsam mit anderen Rassen geschätzt.
- Bei den Zuchtwertschätzungen für Fruchtbarkeit und Kalbeverlauf werden nur mehr Daten ab dem Jahr 2000 (statt 1990) verwendet.
- Die sogenannte Basis der Zuchtwerte wurde von einer Stierbasis auf eine Kuhbasis umgestellt. Die Basis stellt in der Zuchtwertschätzung den Bezugspunkt für die geschätzten Zuchtwerte dar. Das bedeutet, dass diese Tiergruppe im Durchschnitt bei allen Relativzuchtwerten (GZW, MW usw.) auf 100 bzw. bei den Milchmerkmalen auf 0 gesetzt wird. Diese Bezugsbasis wird bei jeder ZWS aktualisiert, das heißt um ca. vier Monate nachgerückt (gleitende Basis). Beim Fleckvieh waren das bisher die acht bis zehn Jahre alten Stiere, neu sind es die vier bis sechs Jahre alten Kühe. Die Umstellung auf die Kuhbasis hat zur Folge, dass GZW und MW um ca. 2 Punkte und der Milch-ZW um ca. 100 kg gestiegen sind. In Zukunft wird es bedeuten, dass die Abschreibung der Zuchtwerte von einer Schätzung zur nächsten etwas geringer ausfallen wird als bisher.
- Die größte Umstellung zusätzlich zu Single-Step ist das völlig neue ZWS-Verfahren bei der Nutzungsdauer, das in Folge etwas genauer vorgestellt wird.
Ein Upgrade für die Nutzungsdauer
Die Nutzungsdauer zählt mit Sicherheit zu den wichtigsten Merkmalen in der Rinderzucht. Für die Nutzungsdauer werden in Österreich als weltweit erstes Land bereits seit 1995 Zuchtwerte geschätzt. Die bisherige Zuchtwertschätzung Nutzungsdauer erfolgte mit einer sogenannten Lebensdaueranalyse (Survival Analyse) und hat zu sehr guten Ergebnissen geführt. Es ist gelungen, den genetischen Trend für die Nutzungsdauer wieder in die positive Richtung zu drehen. Auch die tatsächliche Nutzungsdauer ist in den letzten 20 Jahren in Österreich wieder leicht angestiegen. Ein Nachteil der bisherigen Zuchtwertschätzung war, dass es sich dabei um kein Tiermodell gehandelt hat und dadurch die Kuh-Zuchtwerte näherungsweise berechnet werden mussten. Problematisch war auch, dass die gesamte Nutzungsdauer nur einem (dem letzten) Betrieb zugeordnet werden musste und so Betriebswechsel nicht sauber abgebildet werden konnten. Letztlich entscheidender Grund für die Umstellung war aber, dass es nicht möglich gewesen wäre, auf dem bisherigen Modell eine Single-Step-ZWS aufzubauen.
Nutzungsdauer in Abschnitten
Es war daher in den letzten Monaten notwendig, eine komplett neue Zuchtwertschätzung zu entwickeln. Das neue ZWS-Verfahren basiert wie bei allen anderen Merkmalen jetzt auch auf einem BLUP-Tiermodell. Dadurch ist es möglich, für alle Tiere Single-Step-Zuchtwerte zu schätzen. Im neuen Modell wird die Nutzungsdauer einer Kuh bis zur 7. Abkalbung in insgesamt neun Abschnitte unterteilt. Dabei wird die 1. Laktation in drei (bis 50., 51.-250. und 251. Laktationstag bis 2. Abkalbung), die 2. Laktation in zwei (bis 150. und 151. Tag bis 3. Abkalbung) und die 3. bis 6. Laktation jeweils als ein Abschnitt betrachtet. In jedem Abschnitt wird unterschieden, ob die Kuh den Abschnitt überlebt hat oder nicht.
In der neuen Zuchtwertschätzung werden die weitgehend gleichen Umwelteinflussfaktoren wie bisher berücksichtigt, dies sind vor allem der Betrieb, die Alpung, das Erstkalbealter, die Änderung der Herdengröße und die relative Leistung innerhalb der Herde. Die Erblichkeiten liegen bei ca. 11 Prozent beim Fleckvieh und 13 Prozent bei Brown Swiss.
Höhere Sicherheit mit Exterieur
Zur Erhöhung der Sicherheit des Nutzungsdauer-Zuchtwerts wird der reine Nutzungsdauer-ZW mit Exterieur-Merkmalen, die einen genetischen Zusammenhang zur Nutzungsdauer aufweisen, kombiniert. Die wichtigsten Merkmale sind dabei die Euter- und Fundament-Zuchtwerte (genetische Korrelationen +0,40 bzw. +0,30). Weiters wird berücksichtigt, dass ein leicht negativer genetischer Zusammenhang zwischen Rahmen und Nutzungsdauer besteht, das heißt, dass mittelrahmige Kühe tendenziell länger leben als zu große und schwere Tiere. Beim Fleckvieh dient daher der Rahmen (-0,09) auch als Hilfsmerkmal. Dieser mit den Exterieur-Merkmalen kombinierte Nutzungsdauer-Zuchtwert geht wie bisher in den GZW ein und stellt nun auch den offiziellen Nutzungsdauer-Zuchtwert dar, auf die Kombination mit weiteren Fitnessmerkmalen wird verzichtet.
Der bereits bisher festgestellte positive genetische Trend wird durch das neue ZWS-Verfahren bestätigt bzw. ist der Trend sogar noch geringfügig positiver als bisher. Sehr wichtig ist auch, dass die neuen Nutzungsdauer-Zuchtwerte eine höhere Stabilität bei Datenzuwachs aufweisen als mit dem alten Modell.
Deutlicher Anstieg im Spitzenbereich
Durch die zahlreichen Anpassungen bei dieser Zuchtwertschätzung hat sich das Zuchtwertniveau vor allem im Spitzenbereich in verschiedenen Tiergruppen merklich geändert. Die Tabelle 1 liefert einen Überblick über Tierzahlen, die über bestimmten GZW-Grenzen liegen. Die Auswertung bezieht sich auf Besamungsstiere und männliche Kandidaten ab Geburtsjahrgang 2020. Daraus ist ersichtlich, dass die Anzahlen im Spitzenbereich vor allem durch den höheren genetischen Trend und die Umstellung auf die Kuhbasis deutlich gestiegen sind.
Tabelle 1: Anzahl der Tiere über bestimmten GZW-Grenzen bei den Besamungsstieren bzw. männlichen Kandidaten ab Geburtsjahrgang 2020 im April (neu) im Vergleich zum Dezember (alt)
Die Umstellung auf Single-Step und die zahlreichen weiteren hier auszugsweise dargestellten Änderungen in der Zuchtwertschätzung führen in vielen Fällen zu deutlichen Zuchtwert-Änderungen, die sicherlich eine Zumutung für die Züchter und Zuchtverantwortlichen darstellen. Wir sind allerdings davon überzeugt, dass es sich dabei um wesentliche Verbesserungen in der Aussagekraft der Zuchtwerte handelt. Die Entwicklung in der Zuchtwertschätzung ist niemals abgeschlossen – das Bessere ist der Feind des Guten!
Dr. Christian Fürst, Dr. Hermann Schwarzenbacher und Dipl.-Ing. Judith Himmelbauer, ZuchtData Wien für das ZWS-Team DE-AT-CZ