Nutztierhaltung versus Klimaschutz

Brauchen wir überhaupt noch Rinder?

ein Beitrag von Prof. Dr. Wilhelm Windisch, Technische Universität München, Wilhelm.windisch@tum.de

Der Klimawandel wird immer spürbarer und in seinem Schatten baut sich eine weitere Bedrohung für die Menschheit auf.

Die verfügbare landwirtschaftliche Nutzfläche pro Erdenbürger nimmt immer mehr ab, nicht nur weil die Weltbevölkerung weiterwächst, sondern auch durch Versiegelung, Erosion oder Wüstenbildung infolge des Klimawandels.

Fleckviehkühe auf der Weide; agrarfoto.com

Wenn heutzutage eine Fläche von einem Fußballfeld drei Menschen ernähren muss, sind es im Jahr 2050 mehr als fünf Menschen. Der Krieg in der Ukraine gibt uns eine Vorahnung auf diese Entwicklung, denn der Zugang zu den Ackerflächen dieser Region ist derzeit massiv eingeschränkt. Gleichzeitig belegt der Anbau von Nutztierfutter in Mitteleuropa etwa die Hälfte der Ackerfläche und weltweit gehen ein Drittel der Ernte an Getreide und Mais und mehr als drei Viertel der Sojaernte in den Tiermagen. Unsere Nutztiere stehen deshalb als Verschwender von Lebensmitteln, Umweltverschmutzer und insbesondere die Rinder mit ihrem Methanausstoß als Beschleuniger der Klimakrise in der öffentlichen Kritik. In der Tat verursacht die derzeitige Nutztierhaltung durchaus Probleme in Bezug auf Nachhaltigkeit, Umwelt- und Klimaschutz. Aber sollen wir deshalb die Tierhaltung völlig aufgeben? Welche Rolle spielen insbesondere die Rinder in einer nachhaltigen Erzeugung von Lebensmitteln durch unsere Landwirtschaft?

Viel nicht essbare Biomasse

Landwirtschaft erzeugt Biomasse, die zum weitaus größten Teil vom Menschen gar nicht essbar ist. So besteht die landwirtschaftliche Nutzfläche in Mitteleuropa zu 30 bis 40 Prozent aus absolutem Grasland, weltweit sind es über 70 Prozent. Diese Flächen sind für die Nutzung als Ackerland ungeeignet (z. B. wegen zu großer Hangneigung, Erosionsgefahr, Überschwemmungsgebiet, Höhenlage usw.). Sie erzeugen ausschließlich nicht essbare Biomasse (Gras). Aber auch die Biomasse von Ackerflächen ist zum überwiegenden Anteil nicht essbar. In Mitteleuropa fallen 5 bis 10 Prozent der Ackerflächen durch Gründüngung (z.B. Kleegras) regelmäßig aus dem Anbau lebensmittelliefernder Kulturen. Die sinkende Verfügbarkeit von mineralischem Stickstoffdünger aufgrund der Verteuerung von Energie wird diesen Anteil noch weiter ansteigen lassen. Auch innerhalb der lebensmittelliefernden Kulturen ist mindestens die Hälfte der Biomasse nicht essbar (z. B. Stroh). Und selbst die Ernteprodukte (z. B. Körner) liefern bei ihrer Verarbeitung nochmals nicht essbare Nebenprodukte (z. B. Kleie) im Umfang von etwa einem Drittel der Biomasse der Ernteprodukte. In der Summe entstehen in der Landwirtschaft und bei der Weiterverarbeitung der pflanzlichen Ernteprodukte je Kilogramm veganem Lebensmittel mindestens vier Kilogramm nicht essbare Biomasse.

Wohin mit der nicht essbaren Biomasse?

Die nicht essbare Biomasse enthält enorme Mengen an Pflanzennährstoffen (Stickstoff, Phosphor usw.), die wieder zurück auf die landwirtschaftliche Nutzfläche gebracht werden müssen. Bloßes Einarbeiten in den Boden ist ineffizient, denn die Freisetzung der Nährstoffe erfolgt nicht synchron mit dem Bedarf der Kulturpflanzen. Wesentlich wirkungsvoller sind dagegen organische Dünger, die man lagern und dem Bedarf der Kulturpflanzen entsprechend gezielt ausbringen kann. Solche organischen Dünger entstehen bei der Verwertung der nicht essbaren Biomasse in Biogasanlagen (Gärreste) oder bei der Verfütterung an Nutztiere (Wirtschaftsdünger). Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass die Schließung von Nährstoffkreisläufen über lagerbare organische Dünger den Ernteertrag im Vergleich zum bloßen Verrotten in etwa verdoppelt.

Beste Verwertung über Rinder

Aus der Sicht des Pflanzenbaus sind Gärreste aus Biogasanlagen und Wirtschaftsdünger aus der Nutztierhaltung in etwa gleichwertig. Aber im Gegensatz zu Biogasanlagen erzeugen Nutztiere aus der nicht essbaren Biomasse zusätzlich höchstwertige Lebensmittel. Wiederkäuer sind hierfür besonders befähigt. Das System der Rinderhaltung macht aus den vier Kilogramm nicht essbarer Biomasse pro Kilo veganem Lebensmittel drei bis vier Kilogramm Milch für den Menschen. Bezogen auf Kilokalorien und insbesondere auf Nahrungseiweiß kommen auf die vegane Basisproduktion somit nochmal fast die gleichen Mengen an Nährstoffen hinzu. Dieser Zugewinn an Nahrung entsteht völlig ohne Nahrungskonkurrenz zum Menschen. Es werden auch keine zusätzlichen Ressourcen verbraucht, denn die nicht essbare Biomasse fällt ja bereits bei der Erzeugung der veganen Lebensmittel an. Und auch die Emissionen bei der Rückführung dieser Biomasse in den Stoffkreislauf sind weitgehend unabhängig vom Pfad der Verwertung (Verrotten, Biogas oder Nutztiere).

Methanemission durch Futtereffizienz minimieren

Eine gewisse Ausnahme stellt das klimaschädliche Methan dar, welches im Zuge der Verdauungsvorgänge in den Vormägen der Wiederkäuer entsteht. Es trägt zu etwa vier Prozent zu den Gesamtemissionen an Treibhausgasen bei. Methan wird in der Atmosphäre allerdings rasch abgebaut (Halbwertszeit etwa acht Jahre). Kurzfristig hätte ein Abbau der Rinderhaltung somit durchaus einen raschen Klimaeffekt. Diese würde aber auch rasch wieder an Wirkung verlieren. Völlig anders verhält sich das langlebige Kohlendioxid (CO2), das seit der Industrialisierung hauptsächlich aus fossilen Quellen freigesetzt wird und sich seitdem in der Atmosphäre anreichert. Der mittel- und langfristige Klimaschutz zielt deshalb in erster Linie auf die Vermeidung der Emissionen von CO2 aus fossilen Quellen und den Aufbau von Kohlenstoff-Senken wie etwa Grünland und Gründüngung. Dies erzeugt aber wiederum Biomassen, die sich nur über Wiederkäuer effizient in Lebensmittel transformieren lassen. Demnach ist die Haltung von Wiederkäuern durchaus mit dem Klimaschutz vereinbar, sofern man die Methanemission aus den Vormägen möglichst minimiert. Die Optimierung der Futtereffizienz ist hierfür die wirksamste Methode, denn die Methanemission der Wiederkäuer hängt im Wesentlichen von der Menge an verzehrtem Futter ab.

Kombination für Umwelt am besten

Insgesamt bringt der Verzicht auf die Verfütterung der unvermeidlich anfallenden, nicht essbaren Biomasse an Nutztiere keine signifikante Entlastung der Umwelt. Im Gegenteil, der entgangene Zugewinn an Nahrung müsste durch Intensivierung der veganen Basisproduktion kompensiert werden, und zwar ausschließlich auf der Ackerfläche. Dies käme einer Verdoppelung der Ernteerträge gleich, was selbst bei massivem Einsatz an Düngemitteln, Pflanzenschutz etc. unrealistisch ist und nur durch eine signifikante Ausweitung der Ackerflächen erzielbar wäre. Eine rein vegane Lebensmittelerzeugung verursacht demnach einen Anstieg des Ressourcenverbrauchs und der Emissionen gegenüber einer Kombination aus Pflanzenbau und Nutztierhaltung auf der Basis der unvermeidlich anfallenden, nicht essbaren Biomasse. Sobald jedoch Ackerflächen für die Erzeugung von zusätzlichen Futtermitteln herangezogen werden, entstehen zusätzliche Emissionen, die sich auf Umwelt und das Klima negativ auswirken.

Kunstfleisch ist Nahrungskonkurrent des Menschen

Auch die „Alternativen“ zur Nutztierhaltung müssen sich an der Verwertung der nicht essbaren Biomasse messen lassen, wie zum Beispiel Kunstfleisch. Das „Futter“ dieser Zellkulturen besteht aus gereinigten Nährstoff-Molekülen, die aus höchstwertigen veganen Lebensmitteln gewonnen werden. Kunstfleisch ist demnach ein massiver Nahrungskonkurrent des Menschen. Völlig anders sind dagegen „vegane Alternativen“ wie etwa Haferdrink zu beurteilen. Bei ihrer Herstellung aus pflanzlichen Rohstoffen fallen große Mengen an nicht essbarer Biomasse an. Wenn man diese an Nutztiere verfüttert, entsteht aus derselben Menge an pflanzlichem Ausgangsmaterial in der Summe das Maximum an Nahrung für den Menschen (vegan + tierisch). Vegane Produkte sind demnach keine echten Alternativen zu Fleisch, Milch und Eiern. Sie ergänzen sich vielmehr in einer ausgewogenen Kreislaufwirtschaft mit Lebensmitteln tierischer Herkunft.

Die große Bedeutung der Wiederkäuer

Ein Rückzug auf die unvermeidlich anfallende, nicht essbare Biomasse würde das Angebot an verfügbaren Futtermitteln stark limitieren. Dies hätte deutlich verminderte Emissionen aus der Tierhaltung zur Folge, gleichzeitig aber auch einen massiven Rückgang der Produktion von Geflügelfleisch, Eiern und Schweinefleisch. Milch und Rindfleisch würden vergleichsweise wenig zurückgehen, da das Grünland und die nicht essbare Biomasse aus der Gründüngung der Äcker weiterhin zur Verfügung stehen würde. Diese Resilienz gegenüber Änderungen der landwirtschaftlichen Warenströme ist ein weiterer Hinweis auf die große Bedeutung der Wiederkäuer als Lieferanten von menschlicher Nahrung. Insgesamt kommt es in Zukunft darauf an, aus der begrenzt verfügbaren, landwirtschaftlichen Nutzfläche mit möglichst geringer Umwelt- und Klimawirkung ein Maximum an Lebensmitteln zu erzeugen. Dies gelingt nur unter Einbindung von Nutztieren in einer ausbalancierten Kreislaufwirtschaft. Der Schlüssel für die optimale Intensität der Nutztierhaltung liegt in der Orientierung an der unvermeidlich anfallenden, nicht essbaren Biomasse bei maximaler Futtereffizienz des Gesamtsystems. Wiederkäuer haben darin einen festen Platz.

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