Eine rasche Biestmilchaufnahme direkt nach der Geburt ist essentiell für die gesunde Entwicklung des Kalbes. Für eine funktionierende Immunabwehr braucht das Neugeborene in den ersten Stunden nach der Geburt drei bis vier Liter Erstgemelk. Aber was tun, wenn das Kalb nicht trinken kann/will?
Das bedeutet für Landwirte eine besonders zeitintensive Herausforderung. Saugschwäche kann vielfältige Ursachen haben und unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Häufen sich die Probleme mit Saugschwäche, könnte es sich auch um ein Bestandsproblem handeln.
Allgemein lässt sich sagen, dass saugschwache Kälber besonders viel Geduld benötigen. Saugschwäche hat meist Ursachen, gegen die vorgegangen werden muss. Erkrankungen wie Mineralstoffmangel, Azidose, aber auch Rippenbrüche nach Schwergeburten können die Saugtätigkeit mindern. Auch an den Nuckel muss sich so manches Kalb erst gewöhnen.
Anhand von Beispielen aus der Praxis wollen wir dem Problem der Saugschwäche auf den Grund gehen und Tipps geben, wie man das Kalb doch noch zum Trinken animieren kann.
Fall 1: Kalb ist nicht stehfähig und hat keinen Saugreflex
Wenn das Kalb nicht aufstehen kann und die Zunge schlaff seitlich aus dem Maul hängt, könnte mangelhafte Selen-/Vitamin E-Versorgung eine Rolle spielen. Hauptsächlich Selen, aber auch Vitamin E sind wichtig für die Muskelfunktion. Bei einem Mangel kommt es zu Lähmungserscheinungen. Das Tier hat Probleme aufzustehen und kann die Zunge zum Saugen nicht rollen. In manchen Fällen kann sogar nur die Muskelfunktion der Zunge betroffen sein. Auffällig ist außerdem die erhöhte Herz- und Atemfrequenz. Der Selengehalt kann über das Blut des Kalbes ermittelt werden. Bei einem Mangel kann der Tierarzt bzw. die Tierärztin Selen in Kombination mit Vitamin E spritzen. Der Selenmangel tritt meist als Bestandsproblem auf. Es ist daher wichtig, die Kühe schon in der Trockenstehzeit mit ausreichend Selen zu versorgen, indem man Mineralfutter mit Spurenelementen zufüttert. 0,2 bis 0,3 mg Selen pro kg Trockensubstanz in der Ration sind optimal.
Kommt das Kalb mit einer Azidose zur Welt, wird es ebenfalls nicht trinken wollen. Übersäuerte Kälber wirken schwach und verbleiben nach der Geburt in Seitenlage. Es ist unbedingt darauf zu achten, dass Kälber 15 Minuten nach der Geburt die Brustbauchlage einnehmen und nach einer Stunde stehen können. Deutliche Anzeichen einer schweren Azidose sind Lethargie, Seitenlage und die Unfähigkeit, den Kopf zu heben. Diese lebensbedrohliche Verschiebung des Säure-Basen-Haushalts muss unbedingt von einem Tierarzt behandelt werden.
Weitere Gründe, die die Trinklust mindern, können unterkühlte oder lebensschwache Kälber sein. Die Saugschwäche ist dabei ein sekundäres Symptom. Eine Wärmelampe kann hier vielleicht Wunder wirken. Mit dem sauberen Finger kann man immer wieder den Saugreflex testen. Ist er nicht vorhanden, schlägt das Kalb die Zunge hin und her. Grundsätzlich gilt, dass die Kälber direkt nach der Geburt den größten Hunger haben. Die Flasche soll, so oft es geht, geduldig angeboten werden.
Saugschwäche kann auch erst nach einer Woche auftreten. Grund dafür sind Erkrankungen wie Lungen- oder Nabelentzündung. Kranke Kälber haben weniger oder keinen Appetit. Um das Tier wieder zum Trinken zu bringen, muss die Ursache behandelt werden.
(Auszug aus dem Artikel „Saugschwäche beim Kalb – Ursachen und Lösungsvorschläge” von Mag. Tiffany Wurm, Tierärztin beim NTÖ; Fleckvieh Austria Magazin 1/22)