Die Zucht auf natürlich (genetisch) hornlose Tiere hat im letzten Jahrzehnt durch die Möglichkeiten der genomischen Selektion einen massiven Aufschwung erlebt. Dieser Beitrag soll einen Überblick über den aktuellen Stand der Zucht auf Fleckvieh ohne Hörner geben.
Vererbung der Hornlosigkeit
Bei den Milch- und Zweinutzungsrassen sind derzeit zwei verschiedene Mutationen am Chromosom 1 für die natürliche (genetische) Hornlosigkeit bekannt. Die keltische Hornlosigkeit ist überwiegend bei Fleisch- und Zweinutzungsrassen zu finden, die friesische vor allem bei Holstein und Jersey. Beim Fleckvieh kommen beide Varianten vor, wobei die friesische Variante stark im Steigen begriffen ist, beim Braunvieh ist nur die keltische Variante relevant.
Beim Hornlos-Genort (P-Locus, P=polled=hornlos) kommen zwei verschiedene Ausprägungsformen (Allele) vor, wobei das Allel P dominant über das Allel p ist und damit die normale Hornausbildung unterdrückt.
PP = homozygot (reinerbig) hornlos → phänotypisch hornlos
Pp = heterozygot (mischerbig) hornlos → phänotypisch hornlos
pp = gehörnt
Die Feststellung des Hornstatus erfolgt seit einigen Jahren fast ausschließlich über Gentests, meist in Verbindung mit der genomischen Zuchtwertschätzung. Die Kennzeichnung der Gentestergebnisse erfolgt mit einem Stern (*), also PP*, Pp* und pp*.
Zusätzlich zum P-Genort gibt es auch einen Genort, der für die Ausprägung von Wackelhörnern verantwortlich ist, den S-Locus (S=scurs=Wackelhorn). Der S-Locus überlagert den P-Locus und kann bei heterozygoten Tieren (Pp) zur späteren Entwicklung von Wackelhörnern in verschiedener Ausprägung führen. Die Kennzeichnung erfolgt mit PS bzw. bei Vorliegen eines P-Gentests mit P*S. Für den S-Locus selbst gibt es derzeit keinen Gentest.
Vererbungsschema:
Hornlos-Besamungen steigen stark an
In Abbildung 1 ist die Entwicklung des Besamungsanteils mit natürlich hornlosen Stieren (rein- und mischerbig) zu sehen. Der Anteil ist in den letzten 10 Jahren sehr deutlich gestiegen und liegt aktuell bereits zwischen 15 und 20 Prozent. Die steigende Bedeutung ist auch aus der Entwicklung der Allelfrequenzen gut zu erkennen (Abb. 2). Bei den aktuellsten Besamungsstieren ist bereits jeder 4. eingestellte Stier rein- oder mischerbig hornlos. In der weiblichen Population steigt die Hornlos-Allelfrequenz zwar zeitverzögert, aber auch entsprechend deutlich an.
Abb. 1: Entwicklung der Besamungen mit hornlosen Stieren (PP, Pp, PS)
Abb. 2: Entwicklung der Hornlos-Allelfrequenz für Besamungsstiere und weibliche Tiere
Genetisches Niveau mit Aufholbedarf
Die Unterschiede im genetischen Niveau der im Rahmen der gemeinsamen Zuchtwertschätzung Deutschland-Österreich-Tschechien untersuchten männlichen Kälber (Kandidaten) und der von Besamungsstationen angekauften Fleckvieh-Stiere unterteilt in behornt (pp), mischerbig (Pp und PS) und reinerbig hornlos (PP) am Beispiel des Geburtsjahrganges 2018 sind in Tabelle 1 dargestellt. Beim Geburtsjahrgang 2018 handelt es sich um den aktuellsten Besamungsstier-Jahrgang, wobei in den nächsten Wochen noch der eine oder andere Stier dazukommen dürfte.
Tabelle 1: Unterschiede in den geschätzten Zuchtwerten zwischen behornten (pp), misch- (Pp) und reinerbig hornlosen (PP) Kandidaten und Besamungsstieren des Geburtsjahrganges 2018
GZW=Gesamtzuchtwert, MW=Milchwert, FW=Fleischwert, FIT=Fitnesswert, Mkg=Milchmenge, F%=Fettgehalt, E%=Eiweißgehalt, NTZ=Nettozunahme, AUS=Ausschlachtung, HKL=Handelsklasse, ND=Nutzungsdauer, Pers=Persistenz, FRW=Fruchtbarkeitswert, KVLp=Kalbeverlauf paternal, KVLm=Kalbeverlauf maternal, VIW=Vitalitätswert, EGW=Eutergesundheitswert, ZZ=Zellzahl, DMG=Melkbarkeit, RA=Rahmen, BE=Bemuskelung, FU=Fundament, EU=Euter
Aus dieser Auswertung ist ersichtlich, dass die mischerbig hornlosen Tiere nur mehr einen relativ geringen Rückstand zu den behornten Tieren aufweisen, der in GZW, MW, Melkbarkeit und auch im Euter bei etwa 2-4 Punkten liegt. Bei den reinerbig hornlosen Tieren ist der Abstand allerdings deutlich größer und liegt im Schnitt zwischen etwa 4 und 8 Zuchtwert-Punkten in diesen Merkmalen. Bei den reinerbigen Besamungsstieren zeigen sich auch im Fitnessbereich Nachteile. Wurde von den behornten Kandidaten ungefähr jeder 40. für die Besamung angekauft, war es bei Pp ca. jeder 30. und bei den PP-Tieren ca. jeder 15. Das bedeutet, dass im Hornlos-Segment derzeit noch deutlich weniger streng selektiert werden kann und so noch länger ein genetischer Rückstand bestehen bleiben wird.
(Auszug aus dem Artikel „Oben ohne immer beliebter!“ von Dr. Christian Fürst, ZuchtData; Fleckvieh Austria Magazin 2/20)