Aktuell leben rund 85 Millionen Menschen in der Türkei auf einer Fläche, die mehr als der doppelten Größe von Deutschland entspricht. Rund 45 Millionen Touristen wählten im letzten Jahr die Türkei als ihre Urlaubsdestination. Es ist naheliegend, dass in einem muslimischen Land, das eine derart große Zahl an Menschen zu ernähren hat, die Rinderwirtschaft große Tradition und Bedeutung hat. Aktuell werden im Land rund 16 Millionen Rinder gehalten.
Fleckvieh aus Österreich – begehrt im Land am Bosporus
Fleckvieh aus Österreich genießt im Land am Bosporus traditionell einen hervorragenden Ruf, was die Leistungsfähigkeit in Milch und Fleisch und die Robustheit der Tiere betrifft. In den letzten 10 Jahren wurden über 66.000 Zuchtrinder aus Österreich in die Türkei exportiert. 2023 waren es über 7.700, wovon wiederum über 98 Prozent Fleckviehtiere waren. Damit hatten im letzten Jahr 26,6 Prozent der aus Österreich exportierten Zuchtrinder die Türkei als Zieldestination.
TIGEM – gelebte Partnerschaft mit Österreich
Der erste Teil der Reise war einem Besuch bei TIGEM am Standort Malatya in Ostanatolien gewidmet. TIGEM ist ein staatliches Unternehmen mit dem Auftrag der Förderung der türkischen Landwirtschaft. Insgesamt werden 350.000 Hektar Land auf 38 verschiedenen Standorten von rund 5.000 Mitarbeitern bewirtschaftet. Aktuell werden 26.000 Rinder gehalten, wovon rund 10.000 Kühe gemolken werden. Ein Erfolgsprojekt der österreichisch-türkischen Zusammenarbeit ist die Besamungsstation der TIGEM in Malatya. Es wird seit mehr als 10 Jahren auf den Import von Fleckviehjungstieren aus Österreich gesetzt, die im Besitz der Genetic Austria stehen. International sehr gefragt sind auch die Araber-Zuchtpferde aus dem Gestüt von TIGEM.
Empfang bei TIGEM Direktor Öcal
Rinderzucht-Austria-Tag in Malatya
Für die leitenden TIGEM-Mitarbeiter in Rinderzucht und Veterinärwesen wurde ein Rinderzucht-Austria-Tag mit theoretischen und praktischen Inhalten angeboten. Reinhard Pfleger, Fleckvieh Austria, informierte über Fakten der österreichischen Fleckviehzucht sowie der praktischen Umsetzung der Maßnahmen im Zuchtprogramm. Auf besonderes Interesse stießen seine Ausführungen zur neuen Möglichkeit, weibliche Zuchtrinder im DAC-System einer genomischen Untersuchung zu unterziehen. Peter Kreuzhuber, Genetic Austria, berichtete in seinem Vortrag über historische Meilensteine der Zusammenarbeit mit der Türkei und erklärte die richtige Interpretation der Zuchtwerte.
Die Referenten beim Rinderzucht-Austria-Tag in Malatya
Jonas Schiffer, ISUBA Fütterungsberatung, referierte zum Thema „Die gesunde und leistungsbereite Fleckvieh-Herde“. Er brachte in anschaulicher Art und Weise die wichtigsten Punkte zu Management und Fütterung, die erfolgreiche Fleckviehzuchtbetriebe in Österreich umsetzen. In der Praxiseinheit auf einem Betrieb der TIGEM wies Jonas Schiffer auf entscheidende Punkte wie die Gestaltung der Transitphase hin. Die Überprüfung der Ration mittels Kotwaschung sowie der Tiergesundheit mittels Harntests wurden von den türkischen Teilnehmern mit großem Interesse aufgenommen.
2018 wurden in unseren Praxisbetrieb 12 Jungrinder aus Österreich importiert. Aktuell stehen rund 60 Nachkommen aus diesen Tieren im Betrieb. Als imposante Erscheinung zeigte sich eine aus diesem Import stammende HUMPERT-Tochter, die aus dem Betrieb Pumberger aus dem Zuchtgebiet des FIH stammt. Die Kuh steht aktuell in der 5. Laktation, leistete über 11.000 kg Milch in der Höchstleistung und wurde auch erfolgreich über ET genutzt.
Fütterungsberater Jonas Schiffer mit den türkischen Experten
AMANDA (V: Humpert) zeigt eindrucksvoll die Stärken der Zweinutzung mit Fleckvieh.
Im Praxisteil demonstrierte Reinhard Pfleger am Tier die Anwendung des Systems FleckScore und übermittelte grundsätzliche Überlegungen zur richtigen Anpaarung der Tiere. Peter Kreuzhuber nahm symbolisch die ersten Beprobungen von weiblichen Zuchttieren zur genomischen Selektion vor.
Reinhard Pfleger erklärt FleckScore am Tier.
Peter Kreuzhuber informiert über die genomische Untersuchung weiblicher Tiere.
In den Betrieben der TIGEM stehen auch viele Zuchtrinder der Rassen Brown-Swiss und Holstein. Fleckvieh muss daher in Milchmenge und Euterqualität konkurrenzfähige Ergebnisse liefern, um weiterhin attraktiv zu bleiben.
Türkei – Tischkultur mit Milchprodukten
Interessant war auch ein weiterer Beratungsbesuch auf der DUTPINAR Farm. Der Betrieb hält 600 Kühe und 2000 Mastrinder in der Nähe von Malatya. Im Jahr 2014 wurden die ersten Fleckviehkalbinnen aus Österreich importiert. 2018 folgte ein weiterer Import von 90 Kalbinnen, von denen aktuell noch 65 Tiere im Bestand stehen. Die gefütterte Ration wurde von Jonas Schiffer analysiert. Ebenfalls konnte er hilfreiche Tipps zur Verbesserung der Ventilation im Stall geben.
Die produzierte Milch wird in der eigenen Molkerei verarbeitet. Joghurt und Ayran zählen in der türkischen Küche zu den täglich genossenen Lebensmitteln. Dementsprechend groß ist das Interesse des türkischen Staats, die Eigenversorgung mit Milch im Land zu verbessern.
Berater Jonas Schiffer analysiert die Positionierung der Ventilatoren
Familie ASIL – langjähriger Partner in der Zuchtrindervermarktung
Familie ASIL betreibt in der Nähe von Kayseri in Zentralanatolien einen Betrieb, der sich auf den Verkauf von Fleckviehzuchtrindern spezialisiert hat.
Auf zwei Standorten werden die aus Österreich ankommenden Zuchtrinder ein weiteres Mal quarantänisiert und danach den Kunden zum Kauf angeboten. Vor Ort konnten rund 200 Fleckviehkalbinnen besichtigt werden, die erst zwei Tagen zuvor aus Österreich in Kayseri ankamen. Familie Asil ist um das Wohl der Tiere sehr bemüht. Der Stall ist großzügig dimensioniert, die überdachten Laufflächen sind mit Stroh eingestreut. Den Kalbinnen wird eine strukturreiche Mischration angeboten.
Kayseri liegt auf knapp 1100 m Seehöhe
Beste Bedingungen für österreichische Zuchttiere im Stall von Familie Asil
Die Familie schätzt an Fleckvieh aus Österreich die Widerstandsfähigkeit und Robustheit der Tiere sowie deren Potential in der Milch- und Fleischproduktion. Fleckvieh aus Österreich genießt in der Türkei den Ruf einer Exklusivmarke, wofür die Kunden auch bereit sind, einen gewissen Mehrpreis gegenüber Zuchttieren anderer Rassen und Herkunftsländer zu bezahlen. Aktuell werden in der Türkei Milchpreise von umgerechnet rund 50 Eurocent netto ausbezahlt. Die Preise für Kuh- und Stierfleisch liegen mit rund 9 Euro netto je kg Schlachtgewicht deutlich über dem österreichischen Preisniveau.
Fazit
Die Beziehungen zwischen der österreichischen und türkischen Rinderzucht ist eine erfolgreiche Partnerschaft auf Augenhöhe. Für Viehhändler und Rinderzüchter in der Türkei sind Fleckviehtiere aus Österreich aktuell eine sehr teure Investition. Umso mehr versuchen die Züchter vor Ort, die Tiere möglichst lange in ihren Beständen zu nutzen, um die teuren Anschaffungskosten mit Erlösen aus der Produktion von Milch, Fleisch und Nachzuchttieren wieder refinanzieren zu können. Auftrag der österreichischen Rinderzucht ist es daher, unsere Kunden in der Türkei auch in Zukunft bestmöglich mit Know-how in Zucht und Management zu unterstützen.
Fleckvieh Austria bedankt sich bei Familie Asil für die langjährige Partnerschaft.
Autor: Ing. Reinhard Pfleger, Fleckvieh Austria